Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.08.2024, AZ 7 A 10660/23.OVG
Ausgabe: 08 – 2024
Der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz hat den Antrag einer Muslimin, ihr eine Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot der Straßenverkehrsordnung zum Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) beim Autofahren zu erteilen, zu Recht abge¬lehnt. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz, das damit das vorangegangene Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße bestätigte.
Die Klägerin ist eine Muslimin, deren religiöse Überzeugung ihren Angaben zufolge ihr das Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) in der Öffentlichkeit gebietet. Im Gegensatz zu einem Kopftuch verhüllt ein sogenannter Niqab nicht nur die Haare sowie ggf. den Hals-, Schulter und Brustbereich, sondern auch das Gesicht mit Ausnahme der Augen¬partie. Die Klägerin stellte bei dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Aus¬nahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 Straßenverkehrs¬ordnung (StVO). Danach darf, wer ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so ver¬hüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist. Nachdem der Beklagte den Antrag abgelehnt hatte und ihr dagegen eingelegter Widerspruch erfolglos geblieben war, erhob sie Klage, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgte. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, da die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte straßenverkehrs-rechtliche Ausnahmegenehmigung von dem Verhüllungs¬verbot habe (vgl. Presse¬mitteilung des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße Nr. 16/2023).
Den gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils habe die Klägerin nicht dargetan. Das Gericht habe ebenso wie die Vorinstanz keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des in § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO geregelten Verhüllungsverbots. Der durch das Verhüllungs- verbot bewirkte Eingriff in die nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz geschützte Reli-gionsfreiheit sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt und insbesondere auch verhältnis¬mäßig. Die Regelung diene der allgemeinen Sicherheit des Straßenverkehrs und damit dem Schutz von Grundrechten Dritter auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigen¬tum, indem sie zum einen dazu beitrage, im Fall automatisiert erfasster Verkehrs¬verstöße die Identität des Fahrzeugführers festzustellen, und zum anderen der Gefahr von Sichtbehinderungen begegne. Die Erteilung der Auflage zur Führung eines Fahr¬tenbuchs sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht annähernd gleich geeignet zur Identifizierung von Verkehrsteilnehmern im Rahmen automatisierter Verkehrskontrol¬len, weil eine Fahrtenbuchauflage fahrzeugbezogen sei und die Niqab-Trägerin auch andere Fahrzeuge führen dürfe, für die keine Fahrtenbuchauflage bestehe. Zur Gewährleistung der Rundumsicht des Fahrzeugführers wäre eine solche Fahrtenbuch¬auflage ohnehin nicht geeignet. Die Eingriffsintensität des Verhüllungsverbots sei ent¬gegen der Ansicht der Klägerin nicht hoch. Durch das Verbot werde niemand unmittel¬bar an der Praktizierung seines Glaubens gehindert. Bei Befolgung der von ihr als ver¬bindlich empfundenen Bekleidungsvorschriften müsse die betroffene Person lediglich auf das Führen eines (geschlossenen) Kraftfahrzeugs verzichten. Auch im Lichte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bestehe kein Anspruch, die mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verbundenen Vorzüge durchweg zu den Bedingungen der individuell als verpflichtend empfundenen Glaubensgebote in Anspruch nehmen zu dürfen. Das Führen eines Kraft¬fahrzeugs sei zudem nicht ohne Weiteres zwingend oder alternativlos. Außerdem könne besonderen Ausnahmesituationen Rechnung getragen werden durch die den Straßenverkehrsbehörden eingeräumte Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahme¬genehmigung. Die Klägerin habe auch nicht aufgezeigt, dass die Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ermessensfehlerhaft gewesen sei. Das Verwaltungsgericht habe bereits zutreffend ausgeführt, dass die von der Klägerin geltend gemachten Knieprobleme nicht erkennen ließen, weshalb ihr die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nicht zumutbar sein sollte, zumal im ÖPNV meistens auch Sitzplätze zur Verfügung stehen dürften. Unabhängig davon könne dem grundsätzlich anzuerkennenden Interesse an Mobilität im Fall der Klägerin dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klägerin mit ihrer Fahrerlaubnis berechtigt sei, ein Kraftrad zu führen. Für Krafträder, für die gemäß § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO eine Schutzhelmpflicht angeordnet sei, gelte das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO nach Satz 2 der Bestimmung nicht.
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